Behörden und Ernährung
Die DGE trifft fragwürdige Entscheidungen
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ist eigentlich dazu da, uns eine auf Evidenz basierte Stütze an die Hand zu geben, um bessere Entscheidungen für unseren Ernährungsalltag treffen zu können. Seit vielen Jahren positioniert sich die Fachgesellschaft allerdings an der Datenlage vorbei. Die Gründe dafür? Unklar. Einige Beispiele:
1. Die Empfehlung für eine kohlenhydratlastige Vollwertkost
Während die DGE nach wie vor daran festhält, über 50 % der Kalorien aus Kohlenhydraten zu beziehen, gibt es inzwischen eine robuste Datenlage, die zeigt, dass das Gegenteil – eine Reduktion der Kohlenhydratlast – wichtige kardiometabolische Risikomarker verbessert. Warum fehlen Alternativen, die eine flexiblere Makronährstoffverteilung berücksichtigen?
2. Gesunde Ernährung oder Umwelt?
Die DGE macht den wissenschaftlichen Kardinalfehler, indem sie dazu übergegangen ist, die einheitliche Feldtheorie der Ernährung finden zu wollen: Eine Kombination aus Gesundheit und Umweltschutz. Daraus folgt zum Beispiel der Ratschlag, nur ein Ei pro Woche zu essen – obwohl Eier in der Größenordnung der CO2-Äquivalente nicht wesentlich über “klimafreundlichen Produkten” wie Tofu liegen. Ein beteiligter Wissenschaftler erklärt in einem vielbeachteten Podcast, dass die Cholinzufuhr der Bevölkerung bei dieser Empfehlung keine Rolle gespielt hat. Dabei gehören die Eier zu den wichtigsten Cholinquellen und die Datenlage deutet auf eine unzureichende Versorgung hin. Kurzum: Die Erklärung ist weder schlüssig noch nachvollziehbar.
3. Angepasste Nährstoffreferenzwerte mit fragwürdiger Begründung
Ganz aktuell hat die DGE die Referenzwerte für Vitamin E und Jod gesenkt. Während Behörden vor der immer schlechter werdenden Jodzufuhr warnen, streicht die DGE den “Sicherheitszuschlag” aus ihren Empfehlungen. Dadurch steigt das Risiko, dass Menschen noch weniger Jod zu sich nehmen. Gravierender ist es bei Vitamin E. Die DGE leitet den Vitamin-E-Referenzwert “nicht mehr von der Vitamin-E-Menge ab, die für den Schutz der Doppelbindung der ungesättigten Fettsäuren aus der Nahrung und im Körper benötigt wird.” Dabei ist das die Hauptaufgabe von Vitamin E im Körper. Im Klartext: Prävention spielt bei den DGE-Empfehlungen keine Rolle mehr.
Auch Behörden versagen
Ähnliches lässt sich zum BfR, dem Bundesinstitut für Risikobewertung, sagen. Auch hier fällt es zunehmend schwerer, Inhalte von Positionspapieren nachzuvollziehen. Das BfR gibt regelmäßig aktualisierte Höchstmengenvorschläge für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln heraus. Dort findet man z. B. die zugelassene Höchstmenge für Vitamin D, die sich derzeit auf 800 I.E. beläuft. Zum einen wurde von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) dargelegt, dass Vitamin D bis 4000 I.E. als sicher anzusehen ist. Zum anderen reichen die vom BfR freigegebenen 800 I.E. nachweislich nicht aus, um die Vitamin-D-Versorgung der Bevölkerung nennenswert zu verbessern.
Wissenschaft oder Trickkiste?
Es gibt weitere Beispiele. Anhand von Selen haben wir skizziert, wieso das BfR europaweit die niedrigsten Empfehlungen ausspricht (mehr hier). In den Berechnungen wird mehrfach getrickst (oder wie man es sonst nennen möchte): Die Grundlage ist nicht die sicherste Dosis (UL) für Erwachsene, sondern die für Jugendliche, die niedriger ausfällt. Gegengerechnet wird nicht mit dem Versorgungszustand der Durchschnittsbevölkerung, sondern mit dem der am besten versorgten Menschen. Danach gibt es einen willkürlich gewählten “Sicherheitsfaktor” von 2, der die dann berechnete theoretisch zugelassene Menge (180 μg Selen) halbiert. Noch nicht sicher genug: Man legt die übrige Dosis (90 μg Selen) einfach nochmal hälftig auf Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel um. In NEM zugelassen sind also 45 μg. Pardon, war zugelassen. In der Zwischenzeit hat man nochmal ein bisschen herum gerechnet und stehen bleiben 40 μg. Zum Vergleich: Der sichere tägliche Höchstwert liegt inzwischen bei 255 μg. Ist das noch Wissenschaft oder reine Willkür? In keinem anderen EU-Land sind die Empfehlungen derart niedrig. Haben die andere wissenschaftliche Daten dort?
Vertrauensverlust ist hausgemacht
In Deutschland meint man es gut, vielleicht zu gut. Vielleicht so gut, dass man sich als mündiger Bürger irgendwann ein bisschen bevormundet fühlt. Dabei ist dies nicht mal ein unerklärliches Gefühl, sondern per Fakten nachprüfbar. Und die Fakten machen einen irgendwann ein bisschen stutzig. So jedenfalls verspielt man sich das Vertrauen – nicht nur von Menschen, die auf wissenschaftlich fundierte Ratschläge angewiesen sind. Sondern auch von Menschen, die sich täglich wissenschaftlich damit befassen. Es muss sich etwas ändern.